Originalausgabe, Taschenbuch, 528 Seiten ISBN 978-3-499-00833-7 Erschienen am 16. August 2022 im Rowohlt Verlag (Werbung) Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.
„Himmlisch duftender Zimt, ein altes Geheimnis und eine Prise Romantik
HAMBURG, 1812: Die junge Josephine führt mit ihrem Onkel eine kleine Bäckerei. Doch die französische Besetzung der Stadt stellt die beiden vor die Herausforderung, genug Zutaten zu beschaffen. Als ihr Onkel aufgeben will, überredet Josephine ihn, Thielemanns Backhus allein weiterführen zu dürfen. Er hat nur eine Bedingung: Sie soll endlich heiraten – ausgerechnet den Postboten Christian Schulte, der überraschend wenig Mitgefühl für die Nöte der Hamburger Bevölkerung zeigt. Gleichzeitig wird ihr der Soldat Pépin Sabatier, der in der Backstube ein und aus geht und stets von den Köstlichkeiten Frankreichs schwärmt, immer sympathischer. Besonders der Duft von Zimt hat es ihm angetan – genau wie Josephine. Zusammen mit Pépin kommt sie nicht nur einem alten Familiengeheimnis auf die Spur, sondern erfindet auch ein Gebäck, das Thielemanns Backhus retten könnte …
Ein zauberhafter Roman über das wohl beliebteste Hamburger Gebäck: das Franzbrötchen!
Verlagstext
Als erstes möchte ich eine Warnung vor dem Buch aussprechen: Wenn Du es liest, wirst Du die ganze Zeit Lust auf Zimtschnecken, Franzbrötchen, Plätzchen und frisch gebackene Rundstücke haben. Für nicht Hamburger: Rundstücke sind einfache helle Brötchen.
Wenn Du Dich dem tapfer gewachsen siehst, kannst Du Dich auf schöne Lesestunden freuen. Das Buch ist bestens geeignet für gemütliche Lesezeit im Herbst und Winter mit einer Tasse und etwas Gebäck zur Hand.
Wobei der Verlagstext insofern etwas täuscht, als dass zwar die französische Besatzung erwähnt wird, die Liebes- und Backgeschichten demnach aber im Vordergrund stehen. Das tun sie, aber die Umstände der Belagerung zur Zeit Napoleons waren für die Bevölkerung kein Vergnügen.
Wer zum Beispiel aufgrund des aktuellen Weltgeschehens keine Lust auf einen Roman mit Waffen, politisch nicht gewollten Ansichten und Vertreibung hat, wird keine Freude daran haben. Für mich war das beim Lesen ein politischer Hintergrund, der reale Geschichte ist, und den ich eher interessant als bedrohlich fand. Obwohl sich die politischen Anteile zum Ende zuspitzen, siegte beim Lesen das Gefühl der Liebe und dem Duft von Zimt.
Warum vier und keine fünf Sterne? Die Liebesgeschichte war mir einen Hauch zu lieblich und vorhersehbar. Dennoch habe ich es zügig und gerne gelesen. Wenn Du Lust hast, Dich in weicher Erzählsprache einhüllen zu lassen, ist das ein Roman für Dich.
Kennst Du Franzbrötchen und liebst Du sie auch so?
Kinder ihrer Zeit von Claire Winter Band 1 von bisher 2
Taschenbuch, Klappenbroschur, 592 Seiten ISBN 978-3-453-36108-9 Erschienen am 11. Oktober 2021 im Diana Verlag (Werbung) Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.
“Die Zwillinge Emma und Alice werden 1945 auf der Flucht aus Ostpreußen getrennt. Beide glauben, die andere hätte nicht überlebt. Emma wächst in Westberlin auf, Alice in einem Heim in der DDR. Erst zwölf Jahre später finden sie sich überraschend wieder. Durch Alice lernt Emma den Ost-Berliner Physiker Julius Laakmann kennen. Als Julius Zeuge einer Entführung wird, gerät er zwischen die Fronten der Geheimdienste. Dann verschwindet Alice spurlos. Zu spät erkennt Emma, welcher drohenden Gefahr sie und ihre Schwester gegenüberstehen. Währenddessen erreicht der Kalte Krieg einen neuen Höhepunkt – Berlin soll für immer geteilt werden …”
Klappentext
Aktualisierte Fassung des Beitrags vom 27. Juli 2020
Das Buch habe ich 2020 als Hardcover verschlungen und freue mich, dass 2022 – für mich überraschend – ein weiterer Band erschienen ist: Kinder des Aufbruchs. Auch die anderen Romane von Claire Winter habe ich gerne gelesen. Das ist eine Autorin, deren Schreibstil mich immer schnell gefangen nimmt.
In den letzten Jahren habe ich einige Bücher gelesen, die im geteilten Deutschland in der Nachkriegszeit spielen. Für mich sind besonders die 1950er und 1960er dabei interessant, weil ich sie nicht live erlebt habe. Kinder ihrer Zeit beginnt nach dem Prolog zwar 1945, springt dann aber schnell ins Jahr 1950, in dem die Haupthandlung beginnt. Es endet 1961 mit dem Mauerbau.
Die Handlung spielt in der meistens Zeit in West-Berlin, beleuchtet aber die Vorurteile und Vor- und Nachteile der DDR und BRD zum damaligen Zeitpunkt. Die Wege der Protagonisten in Berlin werden genau beschrieben, so dass ich beim Lesen das Gefühl hatte, mit ihnen durch die Straßen zu gehen. Da ich über Jahre hinweg immer wieder in Berlin zu Gast war, kenne ich mich ein bisschen in der Stadt aus.
Interessant ist mir für mich dabei immer wieder das Gedankenspiel, wie ich mich selbst in der Zeit verhalten hätte. Wäre ich als DDR-Bürger in Ost-Berlin in den Westteil geflüchtet und hätte ich der BRD leben wollen? Oder hätte mir der Grundgedanke des Sozialismus gefallen? Wie wäre das Verhältnis zur Stasi gewesen? Was für eine Einstellung hätte ich als BRD-Bürger in West-Berlin der DDR gegenüber gehabt?
Die Fragen sind letztlich ähnlich denen, die ich mir stelle, wenn ich an die NS-Zeit denke. Man weiß nie, wo man wirklich gestanden und wie man sich in der Lage verhalten hätte. Mehr möchte ich zum Inhalt des Buchs nicht verraten, falls Du es lesen möchtest. Wenn Du Band 2 – Kinder des Aufbruchs– lesen möchtest, lies am besten diesen Roman zuerst.
Originalausgabe, Hardcover mit Schutzumschlag, 416 Seiten ISBN 978-3-328-60254-5 Erschienen am 26. Oktober 2022 im Penguin Verlag (Werbung) Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.
Achtung Spoiler!
„Ein Verrat, der Leben zerstörte. Eine Lüge, die Jahrzehnte verborgen blieb.
Jedes Jahr, wenn der Herbst naht, wird Annett von einer inneren Unruhe erfasst. Dann macht sich die Narbe an ihrem Arm bemerkbar, dann werden die Erinnerungen an den Sommer 1988 und an die Clique von damals wach. Fünf Freunde, die sich blind vertrauten, bis einer von ihnen zum Verräter wurde.
Jetzt, Jahrzehnte später, begreift Annett, dass sie ihren inneren Frieden erst finden wird, wenn sie sich der Vergangenheit stellt. Kurz entschlossen fährt sie nach Wismar. Zurück an die Ostsee, in ihre alte Heimat. Doch je mehr sie dort über die Ereignisse jenes Sommers herausfindet, umso deutlicher wird: Sie hätte die Vergangenheit besser ruhen lassen, denn der Verrat von damals reißt ihr Leben erneut in einen Abgrund …“
Klappentext
Das ist das fünfte Buch von Ellen Sandberg, das ich verschlungen habe. Samstagnachmittag wurde es als Vorab-Leseexemplar geliefert, Sonntagabend hatte ich es durch, obwohl ich nur einen halben Tag Zeit zum Lesen hatte. Weil das Buch heute offiziell erscheint, gibt es die Rezension ausnahmsweise an einem Mittwoch außer der Reihe.
In den spannenden Romanen von Ellen Sandberg geht es immer darum, dass jemand von seiner Vergangenheit eingeholt wird oder etwas zu Tage kommt, das offene Fragen klärt oder Licht in Familiengeheimnisse bringt. In Das Unrecht geht sie gar nicht so weit in die Vergangenheit zurück.
In den Rückblenden landen wir im Sommer 1988, an den ich mich bestens erinnern kann und in einem ähnlichen Älter war wie die Hauptprotagonisten. Allerdings lebte ich bei Hamburg, der Teil der Geschichte spielt in Wismar, als noch niemand die Grenzöffnung, geschweige denn eine Wiedervereinigung Deutschlands, für möglich gehalten hat. Meine Welt war also eine freie, die der Clique nicht.
Der Roman, erzählt aus den Perspektiven von Annett und Volker, beginnt nach dem Prolog damit, dass Annett und Mischa 1988 in Wismar ein Paar werden. Die Handlung springt dann nach Bamberg ins Jahr 2016, in dem Volker und Annett 28 Jahre als glückliches Paar ihre Silberhochzeitsfeier planen.
Was ist passiert, dass Annett aus der damaligen Clique nicht mehr mit Mischa zusammen ist und stattdessen Volker geheiratet und zwei Kinder mit ihm bekommen hat? Woher hat sie Narbe auf ihrem Arm und warum hat Volker offenbar tief sitzende Ängste, dass Annett ihn verlassen könnte, obwohl die beiden eine vertrauensvolle Ehe führen?
Im Klappentext steht, dass sie die Vergangenheit besser hätte ruhen lassen. Der Meinung bin ich nicht. Ja, ihre Welt bricht zusammen, als sie stückweise erfährt, was damals wirklich passiert ist. Aber als sie sich auf den Weg nach Wismar gemacht hat, hat sie bereits gespürt, dass mit Volkers Verhalten etwas nicht in Ordnung ist und sie sich nicht noch stärker an ihn binden möchte.
Erstmals nimmt sie das wahr, als sie auf der Suche nach einem neuen Job als Mediengestalterin ist. Weil es schwer ist, einen solchen in Bamberg zu finden, macht Volker ihr das Angebot, in die Geschäftsführung seines kleinen Immobilienunternehmens einzusteigen.
Dabei lässt er ihr allerdings keine wirkliche Wahl sondern versucht, ihr das aufzuzwingen. Er lässt ihr nicht einmal ein paar Tage alleine Zeit in Wismar, um in Ruhe darüber nachzudenken. Stattdessen trackt er ihr Auto über GPS und reist ihr nach.
Was am Ende ans Tageslicht kommt, kann man sich denken, wenn man Ort und Zeit betrachtet: Republikflucht, Stasi, Verhöre, Knast, Verrat und dessen Folgen. Dass Mischa und Annett in den Westen fliehen wollen, ist relativ bald klar in der Geschichte. Er spät erfährt man allerdings, ob sie es versucht haben, was dabei passiert sein könnte und warum Mischa in Annetts heutigem Leben keine Rolle mehr spielt außer in der Eifersucht ihres Ehemannes.
„Holzköpfe in Brand setzen? Geht mit Betonköpfen nicht. Die dann sprengen? Besprengen. Wasser, das in Haarrissen gefriert. Gefriergesprengt? Mit Worten das System sprengen?“
Seite 280 aus Mischas Notizen für Songs oder Gedichte
Nach dem Ende der Geschichte fiel mir dieses Zitat wieder ein. Es bezieht sich eigentlich auf das System der DDR. Passend ist es jedoch auch als Bild für die Ehe von Annett und Volker. Das Ehedrama beginnt mit leichten Haarrissen und schraubt sich die Konfliktstufen sauber hoch, bis es am Ende im Rosenkrieg gipfelt.
Der Epilog schließt den Kreis zum Prolog, den ich natürlich beim Lesen schon lange wieder vergessen hatte. Es bleibt das Gefühl, dass nichts auf der Welt sicher ist und Verrat und Rosenkrieg jeden treffen können.
Hätte sie Deiner Meinung nach besser die Vergangenheit ruhen und weiter unwissentlich eine Lüge leben sollen?
Der Haben-Wollen-Reflex Wie sehr die Macht der Nachahmung unser Leben bestimmt und wie wir uns davon lösen von Luke Burgis
Paperback , 368 Seiten ISBN 978-3-86731-255-4 Erschienen am 13. Juni 2022 im VAK Verlag (Werbung) Eine Leseprobe findest Du auf der Verlagswebsite.
„Warum scheint das Gras auf der anderen Seite des Zauns immer grüner zu sein? Oder anders gefragt: Wieso eifern wir immer anderen nach und wollen haben, was sie haben wollen? Die Antwort liegt tief in unserer Psyche begründet: Wir alle werden von einem mimetischen Begehren gelenkt, einem nachahmenden Verlangen, wodurch Menschen oder Dinge unwiderstehlich anziehend auf uns wirken, sobald sie bereits von anderen begehrt werden (Mimesis = altgriech. Nachahmung). Aus diesem „Haben wollen“ entstehen Eifersucht, Neid und Gewalt. Doch wie können wir uns aus diesem Mechanismus befreien und unseren authentischen Wünschen und Zielen auf die Spur kommen?
Luke Burgis erläutert die psychologischen und soziologischen Hintergründe des mimetischen Begehrens: Abgesehen von grundlegenden Bedürfnissen wie Essen und Trinken wissen wir eigentlich gar nicht, was wir wirklich wollen. Unsere Wünsche und Bedürfnisse richten sich von Anfang an nach dem, was andere für begehrenswert halten, oder danach, was eine Zeit oder eine Mode zu angeblichen Bedürfnissen idealisiert. Das hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, wie zum Beispiel unsere Berufsziele, die Partnerwahl oder den Kleidungsstil. Doch dieses „Haben wollen“ um des „Haben wollens Willen“ kann uns nie wirklich zufrieden stellen. Dies nutzen Werbung, Influencer und Social Media, indem sie ein Verlangen nach ihren Produkten wecken, und in letzter Konsequenz können auch schwerwiegende Konflikte bis hin zu Kriegen auf die Mechanismen des mimetischen Begehrens zurückgeführt werden.
Hier setzt Luke Burgis an. Wir lernen, unser nachahmendes Verlangen zu erkennen und uns daraus zu lösen. So wird der Weg frei, die Dinge zu finden, die wirklich von Bedeutung für uns sind und uns auf lange Sicht erfüllen. Konkrete Taktiken, wie wir dem mimetischen Begehren ein Schnippchen schlagen und die Selbstkontrolle wieder erlangen, runden dieses hochaktuelle Buch ab.
Verlagstext
Gründe für mich, diese Buch zu lesen
Wie sieht es mit dem Umgang und der Kontrolle meines eigenen Haben-Wollen-Reflexes aus?
Wie gehe ich als (Mikro-)Influencer damit meinen Blogleser_innen und Kunden gegenüber um? Denn natürlich möchte ich hier und da Begehren wecken, sonst würde weder Werbung hier funktionieren, mit der ich Geld verdiene, noch jemand meine Beratungsdienstleistungen in Anspruch nehmen, die meine Geschäftsgrundlage sind. Allerdings ist mir dabei wichtig, nur Begehren zu wecken für etwas, das ich selbst auch begehrenswert finde.
Auf der einen Seite bin ich also Kundin, auf der anderen Seite interessiert mich die Marketingsicht. Um es vorweg zu nehmen: Der zweite Punkt trat beim Lesen für mich sehr schnell in den Hintergrund, denn die Perspektive des Autors bezieht sich stark auf sein eigenes Handeln und Empfinden bzw. das seiner Beispielpersonen, auch wenn diese wiederrum Unternehmen führen.
Die Rezension schreibe ich folglich aus meiner Sicht als Verbraucherin und Konsumentin von Social Media. Die Einführung und Teil I – Die Macht des mimetischen Begehrens – haben mir bis Seite 193 sehr gut gefallen. Die Beispiele sind deutlich und werden immer wieder neu verknüpft.
Von Teil II – Die Transformation des Begehrens – hatte ich mich mehr versprochen, der ist mir zu theoretisch dafür, dass es eigentlich um die Umsetzung geht. Den habe ich nach kurzer Zeit nur noch überflogen.
Die letzten 62 Seiten bestehen aus dem Nachwort, Danksagung, Anhang, Anmerkungen, Literatur und Quellen. Es war also nur etwa die Hälfte des Buchs richtig spannend für mich, deshalb bekommt es von mir nur vier Sterne. Für die erste Hälfte hätte es sofort fünf bekommen.
Von Gleichheit und Unterschiedlichkeit
Luke Burgis beschäftigt sich an diversen Stellen des Buchs mit der Frage, welche Rolle Gleichheit und Differenzierung von anderen Menschen der Boden für unser Streben nach Status und Besitz sind.
„Menschen kämpfen nicht, weil sie unterschiedlich sind, sondern weil die gleich sind, und in ihrem Versuch sich zu unterschieden, haben sie sich zu feindlichen Zwillingen gemacht, menschlichen Ebenbildern in gegenseitiger Gewalt.“
Zitat von René Girard nach Sandor Goodhart, im Buch Seite 36f
Als ich das gelesen habe, hatte ich das Gefühl, dass mir ein Spiegel vorgehalten wird, denn ich mag kein Zwilling sein. Ein Grund meines Strebens ist also das Leugnen meines Zwilling-Seins und der enorme Wille, das in Differenzierung auszudrücken. Ich erinnere mich glasklar an die letzte Situation, in der man mich als Zwilling sah und ich mich (verbal) Händen und Füßen gewehrt habe und aus der Situation geflüchtet bin.
„Warum sehen alle Hipster gleich aus und trotzdem hält sich keiner von ihnen selbst für einen?
Seite 104
Die Antwort darauf lautet nach Luke Burgis gespiegelte Nachahmung (Seite 104f). Weil Spiegel die Wirklichkeit verzerren, zeigen sie Dinge seitenverkehrt – aus der rechten Hand wird die linke und umgekehrt. Das Spiegelbild wird zum Gegenteil dessen, was ich im Rivalen sehe. So mache ich scheinbar etwas anderes als das, was der Rivale tut.
Das ist übrigens exakt der Grund, warum ich empfehle, Outfits auf Fotos zu betrachten und nicht nur im Spiegel, weil wir uns auf Fotos so sehen, wie andere Menschen uns sehen.
Abgrenzung von schlechten Vorbildern
Jeder kennt Menschen, bei denen es einem nicht gut geht, wenn wir sehen, was sie machen oder sich darstellen – in sozialen Netzwerken ebenso wie im realen Leben. Ich stimme dem Autoren sowas von zu, dass es wichtig ist, sich von diesem Einfluss zu lösen.
Über die Jahre haben sich in meinem virtuellen Umfeld einige Menschen angesammelt, die mir schlechte Laune machen, wenn ich sehe, wie sie sich im Netz darstellen, um Aufmerksamkeit heischen, illegale Dinge tun für ihre Reichweite und dafür beklatscht werden wollen. Meine Nerven und Zeit sind mir schon lange zu schade dafür, mich mit solchen Menschen zu beschäftigen.
Ich entfolge solche Menschen, lese deren Posts wirklich nicht mehr, und blockiere sie, falls sie mir im Netz dennoch vorgeschlagen werden. Ich kenne einige Blogger, die immer wieder bei ihren Feinden lesen als Amüsement und mir dann ab und an mal die größten Aufreger zukommen lassen.
Nach dem Motto: Das musst Du jetzt wirklich mal gesehen haben, was die da wieder veranstaltet. Nein, muss ich nicht. Will ich nicht. Ist nicht gut für meine Psycho-Hygiene. Seit ich diese Einstellung habe, bin ich wesentlich entspannter, was meine eigene Präsenz im Netz angeht.
Finde Dein Schwungrad
Der Autor arbeitet mit dem Bild des Schwungrads, das wirklich schwer in Gang zu bekommen ist, aber wenn es sich erst einmal dreht, durch kleine Impulsen immer schneller wird. Er schreibt (Seite 131), dass die wirkungsvollsten persönlichen Schwungräder Menschen haben, die sich selbst gut kennen und dass diese Menschen vermutlich von sich aus wissen, welche Dinge die Wahrscheinlichkeit erhöhen oder verringern, dass sie zukünftig etwas Bestimmtes tun wollen.
Seit ich in den letzten Jahren zu dieser Klarheit gekommen bin, was mir wichtig ist und was ich bereit bin, dafür zu tun, geht es mir erheblich besser. Einen deutlichen Anteil bei der Verfeinerung haben die Corona-Jahre 2020/21 dabei gehabt mit den verbundenen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Sorgen. Einen ebenso großen Anteil dürfte das Streben nach Minimalismus im Haushalt und Kleiderschrank daran haben.
Für wen ist das Buch?
Das Lesen des Buchs kann sinnvoll sein für Dich, wenn Dir unklar ist, welche Mechanismen Dich und Deinen Haben-Wollen-Reflex steuern. Jeder wird etwas lernen beim Lesen. Für mich war der geleugnete Zwillingsteil wichtig, für andere sicher etwas anderes.
Es ist ein Sachbuch mit teils recht wissenschaftlicher Sprache und vielen Zitaten. Dich erwartet keine Unterhaltungslektüre, sondern Fachliteratur – aber auch die kann unterhaltsam sein.
Sich sehen Gespräche über das Gesicht von Ursula März und Luiza Braun mit Porträts des Fotografen Fabian Schellhorn
Gebundene Ausgabe, 348 Seiten ISBN 978-3-86971-248-2 Erschienen am 8. September 2022 bei Galiani Berlin (Werbung) Eine Leseprobe und Bestellmöglichkeiten bei diversen Händlern findest Du auf der Verlagswebsite.
„Luzia Braun und Ursula März treffen prominente und nichtprominente Persönlichkeiten zu eingehenden Gesprächen über blaue Augen, Spiegelstadium, Visagenzorn und Super-Recognizer.
Eine moderne Kulturgeschichte des Gesichts – mit Peter Sloterdijk (Philosoph), Meike Ramon (Neurowissenschaftlerin), Wolfgang Joop (Mode-Designer), Robert Seethaler (Schriftsteller), Tanja Fischer (Dermatologin), Anastasia Biefang (Bundeswehr-Kommandeurin), Axel Schulz (Boxer), Adriana Altaras (Schauspielerin und Autorin), Eric Wrede (Bestatter) u.v.m.
Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit war das eigene Gesicht so allgegenwärtig wie heute. Ob auf Fotografien, in Filmaufnahmen, Videochats oder im Spiegel – ständig sehen wir uns selbst. Doch was macht das mit uns? Lebten unsere Vorfahren, die viel seltener mit dem eigenen Abbild konfrontiert waren, vielleicht unbefangener? Hilft die pausenlose Selbstbegegnung bei der Selbsterkenntnis? Das Gesicht als Bühne der Seele – gilt das noch im Zeitalter der ständigen Selbstoptimierung?
Die Journalistinnen Luzia Braun und Ursula März haben 19 Menschen getroffen, die aus verschiedenen Blickwinkeln über das Gesicht nachdenken – als Boxer oder Influencerin, Modemacher oder Dermatologin, als Zwilling oder Transgender, als Philosoph oder Bestatter, als Schriftstellerin oder als jemand, dessen Gesicht sich radikal veränderte.
Lebens- und berufserfahren erzählen diese Persönlichkeiten mit großer Offenheit und Klugheit über unser wichtigstes Ausdrucksmittel und davon, was »sich sehen« für sie bedeutet.
Verlagstext
Interessant finde ich, dass die Portraitfotos immer erst am Ende des jeweiligen Interviews zu sehen sind. Wenn man die Person nicht bereits von Bildern kennt, entsteht im Kopf erst einmal ein ganz anderer Eindruck, als wenn die Autoren mit den Portraitfotos beginnen würden.
Stattdessen startet jedes Kapitel mit einem Intro der Autorinnen mit Gedanken zu der Person, die sie interviewen werden, oder dem Thema, für das die Person steht. Die Interviews beginnen nach Möglichkeit damit, dass vor der Person ein Handspiegel aufgestellt wird und die Frage
„Können Sie bitte beschreiben, was Sie im Spiegel sehen?“
Seite 19
gestellt wird. Spannend finde ich, wie unterschiedlich Menschen ihr eigenes Gesicht beschreiben. Einige sind eher sachlich und beschreiben Formen und Farben. Andere formulieren eher Emotionen wie Fröhlichkeit oder Traurigkeit. Einige sehen ganz selbstverständlich sich und andere können mit ihrem Spiegelbild wenig anfangen oder meiden es im Alltag sogar gezielt.
„Die Unsicherheit gegenüber dem eigenen Gesicht ist die Stellvertreterin einer Art existenzieller Gesamtunsicherheit.“
Seite 257
An dieser Stelle verrate ich Dir ein Geheimnis: Mit Licht mag ich mein Gesicht im Spiegelbild gerne sehen. Im Dunkeln habe ich Angst vor meinem Spiegelbild. Deshalb bin ich froh, dass nachts eine Straßenlaterne in mein Badezimmer scheint, so dass es nie ganz dunkel ist.